das knorke Königreich der vereinten Niederlande machte bislang leider vorrangig durch unlöbliche Nachrichten Schlagzeilen.
Ging es um Hanfgift, Pornographie, wässrige Tomaten oder Atheismus, stets war jene nordwestliche Region im Fokus.
Dank geheimer Missionierungsarbeiten nicht genannter Mitglieder der hiesigen Brettleitung, konnte nun endlich die Wende zum Guten eingeleitet werden!
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SGP-Politiker Marten van Leeuwen, Peter van Schalk, Elbert Dijkgraaf and Gerrit Holdijk (v.l.n.r.)
Den Hausaltar mit Tulpen aus Amsterdam schmückend,Kopftücher für Frauen, Strafen für Homoperverse: Niederländische Ultra-Christen wollen einen Staat auf Grundlage der Bibel. Und ihre Macht wächst.
Es gibt ein Ritual im Leben von Wilm Hoefnagel: Nach dem Gottesdienst, jeden Morgen um 10 Uhr nimmt er seine Dogge an die Leine und macht einen kleinen Spaziergang durch das alte Zentrum von Urk, läuft bis zum Deich und wieder zurück, am Hafen vorbei, an den kleinen ehemaligen Fischerhäusern, die jetzt Geschäfte, Kneipen und Cafés sind, am alten Rathaus, das heute ein Heimatmuseum ist, an der kleinen Kirche, der großen Kirche, der Bethelkirche.
Am Samstagmorgen liegen manchmal noch Flaschen herum, sagt Hoefnagel, ein bisschen sind ihm auch die vielen Motorroller zuwider, mit denen die Jugendlichen hier herumfahren, "Touristen sind auch da", sagt er, auf die er besonders sonntags gerne verzichten würde, aber eigentlich, im Großen und Ganzen, gefällt ihm, was er sieht:
"Wir sind gottesfürchtige, hart arbeitende Menschen, ich hoffe der Herr ist zufrieden mit seiner Gemeinde", sagt Hoefnagel, als er am Leuchtturm angekommen ist. Er hält seinen Hut fest, der zur Tracht hier gehört wie das rot-blau-weiß gestreifte Hemd, wie der Ohrring mit seinen Initialen, den er schon als Junge bekommen hat.
"Traditionen werden wieder wichtig"
Früher diente der Ohrring dazu, die Leichen der Fischer zu identifizieren, wenn sie nach einem Unglück auf See an Land gespült wurden und mit seinem Verkauf konnte der armen Seele ein christliches Begräbnis ermöglicht werden. Heute trägt man den Ohrring nur noch aus Tradition, aber es gibt überraschend viele, auch junge Männer in Urk, die den Brauch noch pflegen.
"Traditionen werden wieder wichtig", sagt Hoefnagel, "besonders heutzutage." In seiner Familie arbeiten die meisten immer noch als Fischer, es gibt auch Handwerker und einer seiner Söhne hat sich vor Kurzem mit einer Internetz-Firma selbstständig gemacht, sagt er und fügt hinzu: "Wir sind nicht rückständig, wir wollen nur, dass der Namen des Herrn nicht in den Schmutz gezogen, dass seine Schöpfung bewahrt wird." Hoefnagel bekreuzigt sich, seine Dogge schaut wie peinlich berührt auf das Wasser.
Es sind Menschen wie Hoefnagel, die die Politik in den Niederlanden mitbestimmen. Der Mann ist der örtliche Chef der christlichen Partei SGP und die Mitte-rechts-Regierung von Premier Mark Rutte ist von ihr abhängig, seit sie bei den Wahlen zum Oberhaus die Mehrheit verfehlt hat. Die ultrareligiöse Partei hat ihre Anhängerschaft hautsächlich im sogenannten Bibelgürtel, unter den erzkonservativen Calvinisten des Landes.
Die SGP ist mit ihren 93 Jahren die älteste noch aktive Partei der Niederlande und sie setzt sich für die Errichtung eines Staates auf Grundlage der Bibel ein. Sie will den autofreien Sonntag, sie lehnt homosexuelle Praktiken als widernatürlich ab, sie fordert die Einführung der Todesstrafe für schwere Verbrechen und will die Macht der Europäischen Union begrenzen.
Die Anhänger der SGP wurden jahrzehntelang in den Niederlanden eher belächelt, als Bauern und Fischer und Ewiggestrige galten sie den Bewohnern der urbanen Zentren um Amsterdam und Rotterdam als Inbegriff für Rückständigkeit. Erst 2006 beschloss die Partei, auch Frauen zuzulassen, von politischen Ämtern bleiben diese allerdings weiterhin ausgeschlossen. Ihr Einfluss auf die Politik war regional begrenzt.
Selten Zugeständnisse an Erzkonservative
Nur selten gab es in den vergangenen Jahren Zugeständnisse an die Erzkonservativen, und die waren eher symbolisch. So etwa 2001, als die Regierung einen Vorschlag der SGP bei der Gestaltung der niederländischen Euro-Münzen aufgriff und "Gott sei mit uns" auf den Rändern der Geldstücke prägen ließ.
Schon vor der letzten Wahl war die SGP Teil der "Koalition der Willigen", wie Rutte seine Minderheitsregierung nennt, musste der rechtsliberale Ministerpräsident Rücksicht auf die Calvinisten nehmen. Nun jedoch befürchten viele, dass der Einfluss der Ultrakonservativen noch steigt. "Die Dinge ändern sich in unserem Land", sagt Wilm Hoefnagel und lächelt. In den säkularisierten Niederlanden, wo inzwischen fast die Hälfte der Menschen konfessionslos ist, können nicht viele darüber lächeln. In Urk allerdings bekam die SGP ein Drittel der Stimmen.
Urk ist ein ehemaliges Fischerdorf am Rande des Ijsselmeeres und gilt als konservativste Gemeinde des Landes. Früher eine Insel, gehört die Gemeinde inzwischen zu Flevoland, einer Provinz, die erst 1986 eingerichtet wurde und fast ausschließlich auf Land besteht, das die Niederländer im 20. Jahrhundert der Nordsee abgetrotzt haben.
Die meisten der knapp 20.000 Einwohner der Gemeinde leben in Neubaugebieten am Ortsrand. Die Straßen sind sauber, die Gärten gepflegt, in scheinbar unendlichen Reihen stehen die Einfamilienhäuser Wand an Wand, gleich groß, gleich geordnet, Mittelklasseautos in der Einfahrt, Fahrräder in den Garagen. Eine Bilderbuchgemeinde für die allen gleichen Wohlstand versprechenden Niederlande.
"Sie tun viel für Familie"
Auf den ersten Blick unterscheidet sich Urk kaum von anderen Orten in Holland. Außer, dass es fast 20 Kirchen in dem Ort gibt, die zumindest am Sonntag gut besucht sind. Nirgendwo im Land allerdings bekommen die Frauen mehr Kinder, die Alterspyramide gleicht somit eher einem Entwicklungsland als einem Industriestaat. "Wahrscheinlich wurde die SGP wegen der vielen Kinder von so vielen hier gewählt", sagt Simon Scholte.
Er ist kein Mitglied der SGP, doch gewählt hat auch er sie. Er packt seine Einkäufe in den Kofferraum des Golfs, die beiden Kinder essen Softeis auf dem Rücksitz. "Ich bin nicht gläubig", sagt er und er habe auch nichts gegen Frauen oder Homosexuelle fügt er hinzu. Trotzdem sei er nicht dagegen, dass die SGP eine größere Rolle in der Politik spielt. Sie mache hier in Urk gute Arbeit, baue Kindergärten und Schulen, spendeten viel. "Sie tun viel für Familien", sagt Scholte.
Stärkung der Regierung Rutte
Wilm Hoefnagel sieht in der größeren Bedeutung seiner Partei eher eine Stärkung der Regierung Rutte. "Seien wir mal ehrlich. Wieso sollten wir Rutte nicht unterstützen? Wir wollen ja nicht wieder die alten Verhältnisse zurück, als die Gottlosen das Land regierten."
Mit Schrecken erinnert er sich an die 90er-Jahre, als eine "Lila-Koalition", ohne jede konfessionelle Partei im Kabinett, das Land regierte, als auf die Calvinisten gar keine Rücksicht genommen wurde. Damals etwa habe die Gesundheitsministerin von der Sozialliberalen Partei D66 etwas gemacht, das zumindest Hoefnagel ihr nie wird verzeihen wird können: Sie brachte ein Gesetz auf den Weg, das die Sterbehilfe legalisierte.
Schnabel